Antependien
Kirchen predigen, durch Bibelworte, durch Klänge, durch das, was im Gottesdienstablauf sichtbar wird. Auch Gebäude senden eine Botschaft, der Gottesdienstraum spricht. Zur Verkündigung des Evangeliums gehören auch die liturgischen Farben, die den christlichen Jahreskreis strukturieren. Sie markieren die Fest- und Fastenzeiten und heben einzelne hohe Feiertage im Kalender hervor. Weiß ist die Christusfarbe, grün die Farbe des Lebens. Schwarz die Farbe der Trauer, violett symbolisiert die Bußzeiten des Jahres, und rot ist die Farbe der Kirche.
Die Antependien in der Johanneskirche wurden von der Künstlerin Sonja Weber gefertigt.
Antependium. grün.
„Wohl dem, der... Lust hat an der Thora des HERRN ... , der ist wie ein Baum, gepflanzt an den Wasserbächen, der seine Frucht bringt zu seiner Zeit, und seine Blätter verwelken nicht". Mit dieser Gratulation beginnt der Psalter in unserer Bibel. Das Grün des Baumes lebt vom Wasser des Lebens, beides vereint in unserem grünen Antependium, das in den Zeiten des Kirchenjahrs aufgelegt wird, wenn keine spezifischen Festzeiten mit eigenen Farben vorherrschen. Die liturgische Farbe Grün ist vor allem den Sonntagen nach Trinitatis vorbehalten, der langen Phase zwischen Pfingsten/Trinitatis und Erntedank/Oktober. Grün markiert die Sonntage, in denen das Wachsen des Glaubens und die Früchte der Taufe zum Thema werden.
Wie leben Christinnen und Christen, die an den Wasserbächen der Zuwendung Gottes gepflanzt sind und Saft aus den Geboten des HERRN ziehen? Wie reinigen sich Menschen von Fehlern, die sie begehen, und von Schuld, die sie auf sich laden? Die Szene der Samaritanerin, die mit Jesus über „lebendiges Wasser" verhandelt (JohannesEvg 4), zeigt die Bedeutung, die Wasser im regenarmen Orient für die Menschen hat. Es ist Quelle des Lebens und es ist geistliches Reinigungsmittel, wenn die Priester in die rituellen Reinigungsbäder (Miqwe) stiegen, deren Wasser durch Gefälle und Röhrensysteme in Bewegung gehalten, d.h. zu „lebendigem", d.h. fließenden Wasser wurde. Wasser ist Leben, und Leben begegnet im Grünen der ersten Liebe: „Mein Freund, du bist schön und lieblich. Unser Lager ist grün" himmelt die junge Frau im Hohelied Salomos (1:16). Das Grünen des Lebens, das Wasser als Lebensquell und das bewegte Taufwasser, das fließen muss, damit der Taufritus ökumenisch gültig ist - all das hat die Künstlerin Sonja Weber ins Bild unseres neuen Antependiums gewoben. Man schaut aus der Entfernung wie ins (aufrecht stehende) Wasser einer Taufschale. Im wechselnden Licht der Kirche bewegen sich die Lichtreflexe als weiße Marmorierung auf dem Wassergrün. Und wer den 23. Psalm kennt, wird, wenn er die Johanneskirche betritt, das Antependium wie ein Versprechen lesen: „ER weidet mich auf grüner Aue und führet mich zum frischen Wasser".
Uwe Vetter
Antependium. weiss.
In der Weihnachtszeit, also von Heiligabend die bis zum letzten Sonntag nach Epiphanias (Ende Januar), und zu Ostern sind die Altäre und Abendmahlstische unserer Kirchen in Weiß gekleidet. Weiß wie … weiß wie Milch (Klagelieder 4:7), heißt es in der Bibel; weiß wie Wolle (Offb1:14); weiß wie eine Wolke (Offb14:14); weiß wie Schnee (Markus16:5); weiß wie das Licht (Matth 17:2). Weiß ist streng genommen keine Farbe, es ist reflektiertes Licht auf einem Untergrund, der selbst nur wenig Licht verschluckt. Das Weiß spiegelt das Licht unter geringsten Verlusten.
Die weißen Antependien in den Kirchen markieren jene Feste im Kirchenjahr, die vom Licht, vom Durchbruch des Lichts und vom Sieg des Lichts über das Finstre handeln. Unser Weihnachtsfest erinnert im Dezember, in der längsten Nacht des Jahres, ›wohl um der halben Nacht‹ von einer Engelerscheinung auf den Hirtenfeldern, aus der ›die Klarheit des Herrn leuchtete‹. Die Weihnachtswochen lassen Szene auf Szene folgen, in denen Menschen dem neugeborenen Christus begegnen und ihnen geht ein Licht auf. Ihnen wird klar, um wen es sich da handelt und welche Dimensionen dieses Erscheinen auf Erden hat. Dem Christus selbst öffnen sich Horizonte seiner Mission, als er auf dem Berge Tabor seine Verklärung durchlebt, ›und sein Angesicht leuchtete und seine Kleider wurden weiß wie das Licht‹ (Matth17:2). Ostern ist der Moment, wo sich die Schwärze des Karfreitags hebt und das Leben nach dem Tod das Licht der Welt erblickt. Der Gekreuzigte ist auferstanden! ist das Urbekenntnis des christlichen Glaubens (1.Korinther 15:3). Weiß, rein und ungefärbt ist das Taufkleid, das ›Priestergewand‹ der Getauften als der ›Kinder des Lichts‹ (Offb 3:5). Die Liturgen zogen ein weißes, oft von Licht reflektierenden Fäden durchwirktes Ornat an, nicht um sich selbst zu dekorieren, sondern um das lebendige Licht der Kerzen zu spiegeln und in jeden Winkel des Raums zu senden.
Wenn wir dem Licht nachgehen, dem die Farbe weiß ihr Strahlen verdankt, stoßen wir zuerst auf die natürlichen Lichtquellen, aufs Feuer der Sonne und der Sterne. Sie bringen die Leuchter zweiten Ranges hervor: das Silber des Mondlichts, das Gleißen der Schneekristalle, das Schimmern des Marmor und das Glitzern der Wellen auf einem nächtlichen See. Betreten wir eine Kirche, mischen sich elektrisches Licht und lebendiges Licht der Kerzen, die sich in den weißen Osterund Weihnachtsgewändern und Antependien spiegeln. In diesen Lichterfesten der Christenheit schimmern die großen Erzähltraditionen der gesamten Bibel durch. Im Alten Testament, der Bibel Jesu, ist weiß die Außenseite der Gegenwart Gottes. Gott ist Schöpfer des Lichts (1.Mose 1:3), und Er begegnet im Licht, erzählen die alten Bücher. Kein Mensch überlebe es, diesem Strahlen ungeschützt ausgesetzt zu sein (›weh, ich vergehe‹ sagt der Prophet in seiner Thronsaalvision, Jesaja 6:5). Deshalb naht Gott sich den Menschen in einer Hülle, etwa in einer Wolke, wie geschehen auf dem Berg Sinai, als Mose auf Ihn wartete, die Zehn Gebote zu empfangen. Noch in der Wolkenhülle war das Leuchten der Gottesgegenwart so stark, dass es dem Mose wie ein Strahlen im Gesicht stand, als er den Berg hinab stieg. So blendend ist der Glanz der Gottesgegenwart, dass Mose sich einen Schleier übers Gesicht hängen musste, um die Kinder Israel nicht in Angst und Schrecken zu versetzen. Weiß ist die Farbe der Gottesoffenbarung. Den Widerschein des himmlischen Lichts einzufangen und in die Kirche zu reflektieren – das ist das Amt unseres weißen Antependiums.
Uwe Vetter
Antependium. violett.
Violett ist die Farbe der Adventszeit, der Passionswochen und des Buß- und Bettags. Das ist erstaunlich, in der Bibel gibt es nämlich kein eigenes Wort für Violett! Aber der Regenbogen kennt diesen Farbton zwischen blau und rot. Im Orient gewinnt man ihn aus dem Sekret der Purpurschnecken, und je nach dem Verdünnungsgrad entstehen aus einem einzigen Rohstoff ein Rosa oder ein Scharlachrot, ein Grün oder rot schimmerndes Schwarz, und eben das Violett. Vier der fünf liturgischen Farben stammen aus einer Quelle. Sie stehen dem Weiß, der ›Farbe‹ des Christuslichts, gegenüber und treten erst unter diesem Licht aus dem grauen Einerlei heraus. Strenggenommen hat erst das 16. Jahrhundert die Zuordnungen der liturgischen Farben zu den Jahresfestzeiten vorgenommen. Doch sie enthalten uralte biblische Farbgeschichten. Das Zelt der Begegnung, das tragbare Heiligtum der Wüstenwanderung, war in den Purpurtönen blau und rot gefärbt, um farblich den Unterschied zwischen profan und heilig zu markieren. König Salomo ließ zum Bau des ersten Tempels nach einem Kunsthandwerker suchen, »der mit blauem Purpur arbeiten kann«. Violett, das Kind von blau und rot, ist die Farbe der Gottesannäherung.
Das violette Antependium in der Johanneskirche zeigt Muster, wie versickernde Wasserläufe sie hinterlassen. Wie Meer bei Ebbe im Sand filigrane Furchen hinterlässt, zeichnen sich Linien ab, die sich in den Altarraum öffnen. Das Wogen und Rauschen ist verebbt, alles wirkt still. In die Antependium. violett. flachen Senken duckt sich der Schatten eines Lichts, das an die frühste Morgenstunde erinnert. Das Nachtschwarz hebt sich, das Morgenrot beginnt als Dämmerblau, und violett färbt sich die Zeit vor Tagesanbruch. So muss Mose das Farbenspiel jener vierzig Nächte und Tage miterlebt haben, als er sich hoch oben auf dem Berge Sinai auf die Offenbarung der Zehn Gebote vorbereitete. Violett mag sich das erste Morgendämmern aus der Nacht gelöst haben, als Jesus für vierzig Tage und Nächte in der Wüste fastete, um in der Lautlosigkeit ein Gehör für die Stimme Gottes zu entwickeln. – Es hatte also einen biblischen Grund, dass die Kirche die Farbe violett für die Bußzeiten wählte. Die Adventswochen und die Fastentage vor Ostern haben etwas von Rückzug, Stille und Verharren, bevor wieder etwas Neues, Kraftvolles heranbrandet. Die Bußzeiten des Kirchenjahrs rufen auf, sich zurück zu nehmen und in sich und in seiner Lebenswelt Raum zu schaffen für etwas, das neu beginnt. Bußzeiten sind Zeiten des Verzichts, um hervortreten zu lassen, was zu andern Zeiten von profanen Dingen überflutet wird.
Uwe Vetter
Antependium. schwarz.
An einem Tag im Kirchenjahr sehen wir schwarz. Wenn die Altäre nicht völlig leer dastehen, bedeckt sie ein schwarzes Tuch wie ein Trauerflor. Schwarz ist keine Farbe, es ist das Fehlen allen Lichts und die Abwesenheit jeglicher Couleur. Die Bibel kann ein Lied davon singen. Psalm 139 spielt Momente äußerster Gottesferne durch und zieht eine schwarze Decke über sich: »Finsternis möge mich decken und Nacht statt Licht um mich sein…«. Dem Propheten Jona wird schwarz vor Augen, als er auf seiner gescheiterten Flucht im Bauch eines großen Fisches auf dem Meeresgrund landet. Sein Gebet (Jona 2) liefert das herzergreifende Psychogramm eines Menschen, der am Ende ist. Hiob fällt in tiefer Niedergeschlagenheit und sieht seine innere Finsternis als Melancholie nach außen dringen: »Ich gehe schwarz einher, doch nicht von der Sonne (verbrannt)« (Hiob 30:28). Die Gefangennahme Jesu und die gewalttätigen Verhöre erfolgen in der Nacht zum Karfreitag, und vom Mittag bis zu seiner Todesstunde verdunkelt (nach dem LukasEvg) eine Finsternis das ganze Land. Unser Karfreitags-Antependium spiegelt das Dunkel im Element des Wassers. Auf der schwarzen Wasseroberfläche, leicht bewegt, schimmert kaltes Mondlicht und erinnert an das Wasser der Urflut, als die Erde noch wüst und leer war und es finster war auf der Tiefe. Mit diesen Zeilen beginnt die Bibel das erste Buch Mose. Es ist das alte Bild vom Chaoswasser, abgründig und bodenlos, unheimlich und bereit, Leben zu verschlingen und nicht wieder herzugeben. Diesen Moment nimmt der kirchliche Karfreitag ernst und widmet sich in der Passionsgeschichte auch unseren dunklen Erfahrungen, bevor es Ostern und hell und lebendig und dem Karfreitag kräftig widersprochen wird. Karfreitag ist der Moment, wenn eine Welt im Chaos(-Wasser) zu versinken und Gott fern und ohnmächtig scheint. Unser schwarzes Antependium erzählt davon in einem bewegenden Bild.
Uwe Vetter
Antependium. rot.
Kirchen predigen, durch Bibelworte, durch Klänge, durch das, was im Gottesdienstablauf sichtbar wird. Auch Gebäude senden eine Botschaft, der Gottesdienstraum spricht. Zur Verkündigung des Evangeliums gehören auch die liturgischen Farben, die den christlichen Jahreskreis strukturieren. Sie markieren die Fest- und Fastenzeiten und heben einzelne hohe Feiertage im Kalender hervor. Weiß ist die Christusfarbe, grün die Farbe des Lebens. Schwarz die Farbe der Trauer, violett symbolisiert die Bußzeiten des Jahres, und rot ist die Farbe der Kirche.
Zu Pfingsten und zum Reformationstag am 31. Oktober werden rote Antependien (lateinisch: ›Vorhang‹) vor den Altar und ans Predigtpult gehängt, um an die Urglut des Glaubens zu erinnern. Der Geist des HERRN erscheint in der Pfingstgeschichte wie Feuer, das vom Himmel herabregnet und Menschen erfasst und sie wie Lohen einhüllt. Das Geistfeuer ist nicht zu verwechseln mit den zerstörenden Feuersbrünsten, die Landschaften und Städte verwüsten können. Es ist vielmehr von der Art der Flammen am brennenden Dornbusch 2. Mose 3, es ist Feuer, das nicht verzehrt, und aus dem die Stimme Gottes spricht. Die Farbe Rot symbolisiert Gottesgegenwart, die anfeuert, die Begeisterung entfacht, die Urkräfte weckt und den Glauben mit dem Anfang, mit der Schöpferkraft Gottes verbindet. Zugleich ist das Rot ein Leuchtfeuer, eine Peilmarke und eine Fackel, die den Gläubigen den Weg leuchtet. Beide Motive – Urkraft und Weggeleit – vereinigen sich in der biblischen Geschichte von der Wüstenwanderung des Volkes Israel, wo es heißt, dass Gott der HERR Seinem Volk einen Weg bahnte und es selbst begleitete: am Tag als Wolkensäule und in der Nacht als Feuerfontäne. Beide Formen sind Naturerscheinungen entliehen, wie man sie von einem ausbrechenden Vulkan kennt, der des Nachts rotgoldene Lava auswirft und tagsüber von Aschewolken umgeben ist, unter denen sich glühendes Magma bewegt. Neues entsteht, aus der Tiefe des Ursprungs, das ist die Botschaft. Wenn wir die neuen Antependien einweihen, achten Sie auf das rote Motiv, das wie lohende Flammen über glühenden Scheiten brennt und sich fast zu bewegen scheint.
Uwe Vetter